Als ich tags darauf wieder diese Bar an der Haltestelle aufsuchte hatte eine andere Bedienung Schicht, und ich erkundigte mich warum ich plötzlich aus der Trinkergemeinschaft ausgeschlossen wurde.
„Guten Morgen, du bist neu hier. Ich bin Carlos Segundo.“
„Ja, ich weiß wer du bist; habe von dir gehört und ich finde dich sympathisch. Magst du ein Kaffee?“
„Ja gerne, aber du weißt, dass ich Hausverbot habe. Ich weiß nicht warum, aber vielleicht kannst du mir helfen.“
„Du warst sehr betrunken und wolltest nicht nach Hause gehen, du bist vom Barhocker gefallen. Die Mutter der Chefin hat dich dann raus werfen lassen und du bist mit dem Gesicht aufs Pflaster geknallt. Sie wollen keine Betrunkenen hier, die irgendwann am Tresen einschlafen.“
Ich beobachtete ihre Bewegungen und sah ihr in die Augen und bezahlte.
„Okay, danke dir für die Auskunft. Was bekommst du?“
„Den Kaffee habe ich dir ausgegeben.“
„Danke dir. Wie heißt du?“
„Du wirst mich im „Bermuda Dreieck“ finden; wir kennen uns vom Sehen. Das soll reichen.“
Ich konnte nicht verstehen, warum jemand aus einer 24 Stunden Bar raus geworfen wird nur weil er Betrunken ist. Diese Bars leben von unserem Geld, von unseren Problemen und unserer Lust nicht allein trinken zu müssen. In dieser Bar musste man sich wie ein Angestellter benehmen. Trinken aber nicht betrunken werden. Nicht während des Trinkens einschlafen. Trinken und das Maul halten. Nicht unaufgefordert reden, nur bestellen. Ich frage mich heute warum ich immer wieder in dieser Bar gegangen bin, wenn es fast wie auf einer Arbeitsstelle zuging; der einzige Unterschied war, das ich das Geld brachte.
Egal, ich musste mich auf dem Weg zum Arbeitsamt machen, die Schramme im Gesicht war fast verschwunden, ich hatte einen Kaffee von einem schönen Mädchen bekommen und ich wurde nicht raus geworfen, jetzt musste ich nur die Dame im Arbeitsamt dazu bringen mich wie ein Mensch zu behandeln oder zumindest als Kunde. Auf meiner Einladung stand der Name Bremicken und irgendwie kam mir der Name bekannt vor, obwohl ich seit Jahren nichts mehr mit dem Arbeitsamt zu tun hatte packte mich die nackte Furcht, als ich vor ihrem Zimmer 2042 stand. Ich klopfte an aber nichts passierte, ich lief ein paar Minuten den Flur auf und ab und schaute auf dem Boden. Ich klopfte noch mal an und öffnete die Tür.
„Guten Tag, ich bin Carlos Segundo; wir hatten heute einen Termin wegen…“
„Würden sie bitte wieder raus gehen und im Flur Platz nehmen. Ich rufe sie dann auf.“
„Okay“
Ich dachte an die Geschichten von meinem Freund Jürgen, der seit Kurzem vom Arbeitslosengeld lebte. Er war in seinem früheren Leben Ingenieur gewesen und hatte die meiste Zeit in den USA gelebt; wo er eine Familie gegründet hatte. Mit drei Kindern, einen deutschen Schäferhund und einer dicken und fetten Amerikanerin als Frau. Sein Job war sicher, bis er auf die Idee kam seiner Frau zu widersprechen, was letztlich zur Scheidung führte. Er hatte aus irgendeinen amerikanischen Grund das Recht verwirkt seine Kinder zu sehen. Ein paar Mal ist er wohl ausgeflippt und hat die Tür seiner Frau eingetreten. Das war’s für Jürgen, er wurde ausgewiesen, verlor seinen Job und landete in Bremen beim Arbeitsamt. Seitdem muss er sich regelmäßig beim Amt melden und nachweisen, dass er sich um Arbeit bemüht. Schwierig für einen Mann der schon die fünfzig überschritten hat, Arbeit zu finden. Für alle erdenklichen Jobs ist er zu alt und wird immer weggeschickt.
„Herr Carlos Segundo!“
„Jawohl!“
„Kommen sie bitte und nehmen dort Platz.“
„Entschuldigen sie ich würde lieber stehen; ich möchte nur meine Unterlagen abgeben.“
„Herr Segundo wir waren früher verabredet und sie sind zu spät. Das kann ich als nicht eingehaltener Termin verbuchen und ihnen das Arbeitslosengeld um dreißig Prozent kürzen.“
„Frau Brenickel, ich bin pünktlich hier gewesen, ich habe angeklopft aber keiner hat sich gerührt.“
„Das kann nicht sein. Ich war die ganze Zeit hier und ich habe kein Klopfen gehört; diese Ausreden kenne ich. Ich heiße Bremicken und nicht Brenickel.“
“Vielleicht kennen sie viele Ausreden, aber sie kennen mich nicht. Ich habe hier meine Unterlagen abzugeben, das ist alles. Einen Beratungsgespräch können wir gerne für nächste Woche vereinbaren.“
Während sie meine Unterlagen studierte sah ich mich in ihrem Büro um. Ihre kurzen grauen Haare passten zur Farbe der Wände, ihre Lippen wie eine saubere Linie geformt und so blass-rot wie eine Made, ihre Augenbrauen nicht ganz so gerade wie die Lippen aber dafür mehr behaart, ihre Augen waren nichts weiter als kleine Punkte hinter dickem Glas ihrer rahmenlosen Brille. Ihre Figur war keine Figur, einfach eine kurvenfreie Masse, nur ihre Kleidung, eine Art Sari hatte eine lebendige Farbe. Wie kann eine Frau, die wahrscheinlich in den vierziger war, so verdammt unfrau sein, dachte ich. Sie war eins mit ihrem Büro, Computer, Leuchtstofflampen, Stühle, Aktenschränke usw. Nur ihre Stimme war menschlich, zumindest klang sie so. Sie hätte auch ein böser Roboter sein können der nur nach Algorithmen handelt.
„Gut Herr Segundo, hier haben sie ihren nächsten Termin und kommen sie pünktlich. Diesmal werde ich von einer Sanktion absehen. Unterschreiben sie bitte unsere Vereinbarung.“
„Was ist das für eine Vereinbarung?“
„Die Vereinbarung für unsere Zusammenarbeit.“
„Okay.“
Ich verließ das Gebäude mit einem Gefühl von Niedergeschlagenheit und fuhr ins Viertel zurück; zurück in die nächste Bar, um aus dem Fenster zu schauen. Wer hätte das gedacht, dass so eine Frau mich so schnell depressiv machen könnte. Ich kannte dieses Gefühl nur aus dem Liebeskummer heraus oder aus Schlafmangel; nach ein paar Bieren ging ich nach Hause und versuchte zu schlafen.
Der nächste Morgen kam früh, um vier Uhr morgens konnte ich nicht mehr schlafen und ging im Regen zum „Stübchen“, so hieß die Bar die umsonst Lesebrillen verleiht.
„Hallo, was darf’s sein?“
„Ein Haake Beck und eine Kurzstreckenkarte.“
„Was für eine? Wodka, Kümmerling, Veterano…“
„Gib mir den billigsten Wodka, dann kann ich auch länger bleiben.“
Es saßen drei Leute am Tresen und einer daddelte am Spielautomaten; ich stellte mich neben einem anderen der wahrscheinlich auch nicht schlafen konnte.
„Einen schönen Hut hast du da.“
„Besser als mit einem Regenschirm durch die Gegend zu laufen.“
„Ja, aber in Mexiko regnet es nicht so viel.“
„Ich komme nicht aus Mexiko, ich kann nur nicht schlafen.“
To be continued
August 2014

Sabine Schubert
August 9, 2014 at 7:59 a.m.Diese Geschichte klingt sehr wirklichkeitsnah und realistisch. Es ist erschreckend ( aber leider Wirklichkeit), wieviel Einfluss diese unmotivierten und frustrierten Halbgötter bei den Arbeitsagenturen auf unser Leben ausüben können. Ihnen ist nicht bewusst, was sie alles emotional lostreten bei den Menschen, die sie begleiten und betreuen sollten bei einer Wiedereingliederung in unser ach so tolles Berufsleben, das viele von uns dann irgendwann krank macht… (Ich kenne allerdings 2 Ausnahmen, die gibt es real und lassen hoffen). Es gibt so viele gebildete Leute, deren Potential einfach nicht zum Einsatz kommen kann. Sie haben das Pech, immer zur falschen Zeit am falschen Ort aufzutauchen. Manchmal habe ich mich geschämt, in Arbeit zu sein… Man sollte sich aber immer vor Augen halten (auch nach dem 400. Bewerbungsschreiben), dass man ja nur einen vernünftigen Arbeitgeber sucht, nur Einen. Das hilft! Das Leben ist so spannend, bunt und voller Überraschungen. Ganz plötzlich öffnet sich wieder eine Tür! Haltet die Augen auf und frustriert nicht, das hilft niemandem und Euch am wenigsten. Wartet auf die nächste Welle in der Brandung und reitet sie…