From nine to five

AssEs war wohl einer der heißesten Tage in der Spülküche, selbst die Kakerlaken bewegten sich in Zeitlupe.

Im Saal und auf der Terrasse, eine Menge Leute die ihre Kinder zu bändigen versuchten.
Meine Schicht war zu Ende und ich musste nur noch mein Geld abholen und zur Fähre gehen, und zum Osterdeich rüber schippern.

Als ich zum Anleger kam, wollten alle gleichzeitig weg. Mütter mit Kinderwagen, Mütter mit Fahrrädern mit Kindersitzen, alte Leute mit Rollatoren oder in Rollstühlen. Fürchterlich in der Menge zu stehen, ohne eine Mutti; also verließ ich die Menge, zog mir die Schuhe aus, und watete am Strand vom Cafe Sand durch den Sand.

Mein Handy erwischte meinen Deutschlandfunk. Tchaikovsky’s „Waltz of the flowers“ lief. In meinem Rucksack fand ich noch eine Dose Bier, eine volle Dose. Was für ein Glück, die anderen Dosen waren leer. Gesammeltes Pfandgeld.
In jeder Raucherpause durchstreifte ich den Strand und sammelte alles was Pfand war. Halbleere trank ich auch mal aus. Das war zwar vom Chef verboten worden, aber ich bekam auf meine Spülhände kein Trinkgeld, und den Gästen war es Recht wenn jemand zwischendurch ihren Dreck entfernte.

Ich setze erst rüber, wenn alle weg sind, dachte ich mir.
Während ich der Musik lauschte und unterm Baum im Sand lag, beobachtete ich diese Menschentraube vor dem Fähranleger. Quengelnde Kinder, beschwipste Paare die sich gegenseitig stützten oder auch küssten. Angeheiterte Männer die Fußball erklärten, Frauen die still geradeaus blickten. Zum Himmel, nach links, nach rechts, zum Boden usw. Einfach schön das alles zu erleben. Das sichere Familienleben.

Ich hatte wenig Tabak, aber beim Flaschensammeln sammelte ich auch halb gerauchte Zigaretten ein. Diesmal hatte ich eine ganze Zigarre gefunden, ich brannte sie mir an und paffte.
Trotz meiner Ohrenstöpsel und Tchaikovsky’s „Lake in the moonlight“ konnte ich den Dieselmotor der Fähre hören. Ich hörte diese fantastische Musik und sah den Zwängen mit ihren Menschen ans andere Ufer treiben. Dort sollte ich früh oder später auch hinkommen.
Das Bier war alle, ich legte mich auf den Rücken und schaute den Sternen ins Gesicht und schlief ein.

Irgendwann wachte ich auf und es wurde wieder hell. Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen hatte. Der Strand war leer, die Lichter vom Cafe erloschen, von einer Fähre, nicht die Spur.
Schuhe anziehen und los.
Ach was. Scheiß auf die Fähre oder auf eine Stunde oder Minute. Ich wollte barfuß über das Parzellengebiet und später über die Wilhelm Kaisen Brücke rüber ins Steintor radeln.
Schon nach ein paar Schritten zitterte mein Handy und unterbrach eine Symphonie von Liszt. Das ist nicht fair, dachte ich.

„Ja, Mossad hier.“
„Wo bist du elendes Stück argentinisches Rindfleisch!?“
„Bin noch bei „Cafe Sand“.“
„Willst du mich verarschen? Es ist fünf Uhr morgens und ich versuche dich seit gestern zu erreichen!“
„Ich bin noch am Strand, aber bin schon wach. Wollte einen Spaziergang machen. Die Fähre fährt noch nicht.“
„Hast du eine Schlampe dabei!?“
„No, aber wenn du willst setze ich mich aufs Rad und fahre schnell zu dir rüber, dann hätte ich eine Schlampe.“
„Das glaube ich nicht!“
Sie legte auf. Ich stieg aufs Rad und ab zum Bahnhofskiosk.

„Wow so frisch heute?“
„Zwei Bier und einen Wodka to go. Keine Sorge, es ändert sich gleich.“

In meinem Badezimmer angekommen ließ ich Wasser in die Wanne, stellte das Internet Radio auf volle Lautstärke an, „The best of Wagner“, öffnete mein erstes Bier und stieg ein.
Da klingelte mein Handy wieder. Ich tropfte meine Wohnung voll bis ich ans Handy kam.

„Ja?“
„Arschloch, wo bist du? Ich glaube dir kein Wort!“
„Was geht dich das an wo ich bin, wenn du mir sowieso nicht glaubst?“

Sie legte auf.
Ich ging in die Küche und setzte Kaffee auf, öffnete die Balkontür und schaute, nackt, den Leuten unten zu. Wie sie von links nach rechts oder umgekehrt von rechts nach links sich bewegten. Es erinnerte mich ein bisschen an die alten Telespiele. Beim Gehen oder beim Sprechen, ähnelten sich die Töne denen der schwarz-weiß Spiele.
Ich brauchte nur noch einen Joystick dachte ich, dann lasse ich die beiden vors Auto laufen, die anderen lenke ich woanders hin usw.
Ich ging zurück ins Bad. Kaum saß ich in der Wanne, hörte ich wieder ein Telefon, diesmal das Festnetz.

Ich stieg wieder aus der Wanne.

„Hallo?“
„Warum antwortest du nicht auf meine Mails!?“
„Vielleicht habe ich mein Passwort geschwängert.“
„Denke du liebst mich!?“
„Nein, das habe ich nie gesagt. Ich sagte dir, dass ich es mir vorstellen kann es mit dir zu versuchen. Ich hatte einen langen Tag, bin etwas müde, aber du kannst zum Frühstück kommen. Für eine Morgenlatte ist es schon spät, aber Eier sind noch da. Willst du sie gekocht?“
„Du hast mich nicht mal gefragt wo ich bin!“
„Schätze, dass du auf dieser Erde weilst und am Leben bist. Ich höre gerade dein Herzbrechen klirren und du nervst mich, daher weiß ich, du lebst.“
„Ich bin gerade bei deinen Freund Sven und wir hatten eine schöne Nacht. Hätte gerne lieber mit dir gefeiert. Was sagst du dazu elender Wichser!?“
„Alles gut. Deine Freiheit, immerhin denkst du immer an mich. Ist das Liebe, wenn man die eine fickt und an die andere denkt und liebt?“

Sie legte auf.
Ich ging in die Wanne zurück, trank Kaffee mit Wodka und dachte; wenn sie auf mich abfährt, dann hat sie keinen Humor.
Ein langer Arbeitstag war zu Ende.

März 2015