Unlängst traf ich einen Bekannten vor der „Schauburg“. Er erzählte mir von seiner Liebe zu einer Frau, Hector Pereira hatte sich in so eine Italienerin verliebt und war verdammt glücklich. Hector konnte sie immer und überall ficken, wenn ihr Sohn in der Schule war. Hector erzählte mir jedes Detail, ich hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen und wollte eigentlich mehr über sein staubiges Leben als Mauerer hören, aber es hatte keinen Sinn ihn in seinem Redefluss zu stoppen.
Er hatte sie im Treppenhaus, in der Abstellkammer, auf den Kühlschrank, auf dem Balkongitter und an allen möglichen Orten und Möbeln gefickt. Hector beschrieb mir alle seine Lieblingsstellungen und ich musste unweigerlich an meinen Fischer-Technik Kasten oder meine Legosteine denken. Was er da getan hatte grenzte schon an Ingenieurskunst. Architekten hätten über seine Statik gestaunt, aber bekanntlich fickt diese Berufsgruppe äußerst selten, und wenn sie ihren Trieben freien Lauf lassen, dann nur mit speziellen Geräten oder an komplizierten Maschinen festgebunden. Geld und Stress eben.
Jedenfalls tauschten wir unsere Telefonnummern aus und verabredeten uns für die nächsten Tagen. Ich saß noch eine Weile in der „Schauburg“, trank noch ein Espresso und erinnerte mich an so einen Kerl den ich vor Jahren mal vor der „Schauburg“ getroffen hatte. Auch er behauptete einer der glücklichsten Menschen auf diesen Planeten zu sein. Später hörte ich, dass er sich vor dem Regionalzug gestürzt hatte. Was für eine Misere, dachte ich. Bei Hector, dachte ich, was für eine italienische Frau seine Liebe sein muss. Dieser Kerl hatte sich das Leben genommen, weil seine Katze vom Zug überfahren wurde. Derselbe Typ hatte mir was von Wiedergeburt usw. erzählt. Wahrscheinlich hat er selbst nicht daran geglaubt, sonst hätte er auf seine Katze warten können aber ungeduldig wie ein Moskito war er. Ich trank den Espresso aus und ging im Regen nach Hause.
Heute sind es etwa drei Wochen her, dass ich mein Freund Hector getroffen habe und ich habe noch keinen Anruf von ihm bekommen.
Mir gehen Gedanken durch den Kopf, die ich schon lange verdrängt hatte. Aber dieser Kerl mit der toten Katze fasziniert mich, weil er mich dazu gebracht hat daran zu denken wie es bei mir war, als ich das erste Mal an Suizid gedacht habe.
Ich war damals sechs oder sieben Jahre alt, es war die Zeit als ich das erste Mal von meiner Mutter getrennt wurde und aufs Land verbracht wurde. Das Leben mit meiner Mutter in den Bars von Valparaiso wäre nicht gut für mich hieß es. So landete ich in einer überwiegend katholischen Kleinstadt, ich meine so richtig nah an Gott ohne Wenn und Aber. Ich weiß, dass ich etwa anderthalb Jahre bei einer Tante Erna verbracht habe, die war Gott auch sehr nah. Meine Mutter besuchte mich ab und an, gerade wie das Geld für die Fahrkarte reichte. An meinem Geburtstag kam sie mit einer Torte aus Valparaiso angefahren. Ich habe mich sehr gefreut sie wieder zu sehen, zu riechen, zu spüren und ihre Stimme zu hören. Das war’s auch schon. Sie durfte nicht die Türschwelle überschreiten, denn sie war eine schmutzige Protestantin und noch dazu Anglikanisch Protestant. Ich bekam etwas mehr als eine Stunde Ausgang, um mit ihr draußen die Torte zu teilen. Wir sind in eine 24 Stunden Bar gegangen, voll mit lustigen Trinker und undercover Huren. Dort teilten wir diese Torte und eines unserer seltenen gemeinsamen Augenblicke. Es muss an einen Sonntag gewesen sein, denn man konnte die neuesten Geschichten aus der Umgebung hören. Diese Geschichten handelten meistens von Erscheinungen längst Verstorbener, die ihren Deckel nicht bezahlt hatten oder von Schwangeren die von Geistern besessen waren. Von den Verschwundenen, die von der Regierung verschleppt wurden, sprach man nicht. Die Geister der Toten reichten vollkommen. All diese Neuigkeiten wurden meistens in der Kirche verbreitet, natürlich mit Gottes Segen. Diese Leute waren vormittags katholisch genug gewesen und so konnten sie ungezwungen am Nachmittag saufen und rumhuren.
Meine Mutter schaute mir immer in die Augen und streichelte meine Hand, während ich ihr meine Geschichten aus der Schule und meinem Leben bei Tante Erna erzählte. Ich erinnere mich auch, dass ich ihr von meinem ersten Flirt erzählt habe. Viviana hieß mein erster Flirt, ein wunderschönes Mädchen mit indianischem Einschlag. Sie hörte mir zu, aber ich habe trotzdem ihre Abwesenheit oder Sorgen gespürt. Es ging um meine Zukunft oder so vermute ich.
Die schöne Nachricht an diesen Tag war, dass sie mich in den Sommerferien abholen würde. Die zweite war, dass ich mich ruhig von Viviana küssen lassen sollte. Sie erklärte mir, dass es Blödsinn ist wegen einem Kuss gleich heiraten zu müssen und, dass man vom Küssen nicht schwanger werden kann, weder ich noch Viviana. Sie hat mir geraten Viviana Gedichte zu schreiben, denn Blumen kann jeder schenken. Sie sagte, dass ihr meine Gedichte sehr gefallen hätten und sie sehr berührten. Sie hat mich bis vor der Tür von Tante Erna gebracht, mich umarmt und versprochen mich wieder nach Valparaiso zu holen. Ich sah ihr eine ganze Weile nach bis sie links in die Blanco Straße abgebogen war. Dann habe ich erst an der Tür geklopft, der Teufel persönlich hat aufgemacht, Oma Antonia. Sie ließ mich wortlos rein. Sofort bin ich zu meinem Bett geeilt und habe nach meinen Küken Amarillo geschaut, er war tot. Amarillo lag platt wie eine Briefmarke auf meinen Lacken. Ich hatte damals Amarillo für einen Papagei gehalten und wollte ihn meiner Mutter schenken. Nun war der Vogel unter meiner Bettdecke erstickt, dabei wollte ich nur dass er nicht friert. Ich betete zu Gott, aber dieser Wichser war wahrscheinlich mit anderem Scheiß beschäftigt, ich rief seinen Sohn Jesus, aber er war auch nicht erreichbar.
Ich hatte in so einem Buch gelesen wie man Erste Hilfe leistet, und so habe ich versucht ihn zu beatmen. Mit einem Wattestäbchen habe ich ihn eine Herzmassage verpasst, aber alles hat nichts genützt. Ich war unglücklich und weinte eine Weile, doch dann habe ich beschlossen zu Gott und Konsorten zu fahren. Ich habe eine Flasche Brandy aus der Bar in unseren living room gestohlen und hab‘ angefangen zu trinken. Ich wusste, dass Erwachsene die tranken auch für eine Weile tot waren und dann doch wieder ins Leben zurückkamen, manche mit Schmerzen, andere mit Visionen usw.
Ich wollte sterben und mit Gott was klären. Wenn dieser Penner mir nicht helfen würde, dann wollte ich nicht mehr weinen, sondern tot bleiben. Tante Erna hat mich erwischt während ich Selbstgespräche führte, und es gab eine Tracht Prügel und Alkoholverbot. Monate lang dachte ich daran mich irgendwie umzubringen. Das Leben ohne meine Mutter und ohne Amarillo war sinnlos. Keine Mama, kein Amarillo, nur Viviana gab‘s noch, doch der Umgang wurde mir auch verboten, denn sie gehörte nicht zu unserer Kaste. Sie war dunkel, zu indianisch. Ich wollte nur sterben.
Langsam verstehe ich diesen Typen mit der Katze und den Regionalzügen. Während ich darüber nachdenke wird mir klar, dass ich eine Dose Verdorbenes geöffnet habe, die Büchse der Pandora, mit der Katze, Amarillo, Gott und meiner Mutter. Sie ist längst tot vermute ich, und ich hoffe dass sie sich nicht im Himmel langweilen muss. Sie wird schon einen netten Liebhaber gefunden haben. Wen kümmert es, sie ist eh´ in meinen Genen, selbst wenn ich küsse, wichse, oder scheiße, immer sind Spuren von ihr in dieser Welt. Von Amarillo sind auch Spuren in dieser Welt, auch wenn er noch nicht ficken konnte, so hat er wenigstens geschissen. Ja die Nahrungskette ist die Lösung, um aus diesem bescheuerten Gedanken über die Endgültigkeit des Lebens wegzukommen. Man stirbt früh oder später, egal wann man schlafen geht. Wird zu Asche, Mist oder Erde, dort wachsen Pflanzen, die Maden oder Ratten knabbern an den Toten. Sie sterben auch und werden zu Nahrung für anderes Getier usw. bis wir irgendwann vielleicht ein Steak essen und es wieder ausscheißen.
Aber mit der Liebe und den Gefühlen ist das wohl nicht so einfach. Jetzt könnten mir die Esoteriker, Psychologen, Schwule, Alkoholiker, Türken, Mexikaner usw. helfen. Bin jetzt bereit jede Hilfe anzunehmen, die mich daran hindert weiter diesen Flashback zu folgen.
Hoffentlich meldet sich Pereira. Ich glaube ich möchte mich lieber von seiner Fickakrobatik ablenken lassen, um diese Gedanken los zu werden.
Ich werde jetzt „My Way“ von Sid Vicious auflegen. Ich liebe diese Stelle wo er sehr gefühlvoll singt:
„To think I killed the cat
And many say, not in the gay way…”
Ich denke an diesen Typ, den Regionalzügen, seine Katze und an Amarillo. Ich hoffe, dass Hector Pereira sich meldet und wir ein paar Pillen einwerfen und raus gehen, aus dieser Wohnung der Gedanken.
Ahh, endlich klingelt das Handy, es ist Hector. Er weißt nicht wo er schlafen soll…
To be continued…
