
… in der 2. Etage der AUCOOP. Ein alternativer Betrieb, so richtig in eigener Verwaltung, ohne Chef.
Ich hatte mit der Zeit die Angewohnheit mich zu betrinken. Die paar Meter nach Hause schaffte ich an diesen Sonntag wieder nicht. Ich schlief in der Werkstatt oder über dem Cafe, auf einer voll gewichsten Couch.
Montags morgens kamen die Lehrlinge, die Meister, die Projektleiter und andere Huren durch den Haupteingang. Ich musste oben, an der Decke vom Cafe, auf der Couch, platt ausharren bis die ganzen Lohnhuren vorbei getrampelt waren.
Ich stellte mir vor, ich sei in der Savanne, einsam aber umringt von Herden. Elefantenherden, Zebraherden, Antilopenherden, Ameisenkolonnen, Bürohuren etc. etc. Alle gefangen im Strom , der nur eine Richtung kennt. Überleben oder überlebt werden. Jacke wie Hose.
Ruhig bleiben und unentdeckt bleiben. Abwarten bis alle, voller Elan zu ihren 1 Euro Jobs geeilt waren. Bis ich schließlich fast wieder einschlief. Irgendwann war auch Afrika vorbei und ich ging die Treppen runter, zum Cafe, in Richtung Haupteingang, drehte mich um, und grinste, als wäre ich gerade zu spät gekommen. Doch diese Ameisenkolonnen liefen immer noch über meinen Körper.
Stop, Stop! Der Traum ist jetzt vorbei!!!
Ihr scheiß Insekten, hört auf!
„Herr Segundo, würden sie bitte gleich in meinen Büro kommen?“ ,sprach mich ein Projektleiter an der Treppe an.
„Rashnu, du kannst auch Carlos zu mir sagen.“
„Ok Carlos“.
Ich stieg weiter die Treppen bis zur 2. Etage, zu meiner Werkstatt. Es war noch keiner da. Ich starrte eine Weile auf die Straße und versuchte mir diese Ameisen wegzudenken. Sinnlos, der Kater blieb. Ich auch. Plötzlich krachte es im Nebenraum. Jaques lag am Boden und sah mich mit einem gekreuzten Blick an, als wäre er Colombo. Stöhnte und wünschte mir einen schönen Morgen.
„Hey, was machst du hier, in unserem Lager?“
„Ich hab’s nicht mehr nach Hause geschafft. Rene hat mir den Schlüssel gegeben, für solche Fälle. Mann, ich komme mir vor als wäre eine Elefantenherde über mich rüber getrampelt.“
Er hatte im Hochregal übernachtet.
„Halb so schlimm Jaques. Bei mir krabbeln immer noch Ameisen auf meiner Haut. Es ist ätzend, es kribbelt, es juckt. Gott, wo soll das noch hinführen?“
„Wahrscheinlich zum Urologen, wenn du dir wieder Krätze oder andere bleibende Erinnerungen geholt hast“, grinste Jaques.
„Unsinn, es war nur ein Traum. Übrigens, habe heute auch hier übernachtet. Hab’s auch nicht geschafft.“
„Man Carlos, du wohnst keine 30 Meter von hier entfernt!“
„Andreas ist mein Nachbar und ich will nicht… Ja, er wird’s sowieso riechen“
Ich furzte.
„Oooh neiiin!“
Jaques verließ schnell unser Lager, um unten im Cafe seinen Dienst zu beginnen. Ich kratzte mich weiter, schüttelte mich und wartete auf den Chef,Andreas.
Rashnu, der Projektleiter des „Solarprojekt“ kam herein.
„Carlos, sie sollten sich bei mir melden. Im Büro!“, sagte er künstlich aufgeregt.
„Ja, Rashnu. Jetzt bist du in der Elektro-Werkstatt. So kann’s kommen. Was gibt’s?“
„Ich wollte euch fragen, ob ihr ein paar von unseren Leuten mit auf Baustellen nehmen könnt.“
„Das müssen wir mit Andreas besprechen.“
„Das wäre super. Wir haben momentan so viele Krankmeldungen in unserem Solarprojekt, dass wir nicht wissen wie wir die ganzen 1 Euro Jobber beschäftigen sollen. Außerdem muss ich meinem Urlaub buchen und planen.“
„Ja, klar Urlaub ist wichtig. Wo fliegst du hin?“
„Nach Indien. Es ist so toll da. Alles erschwinglich und meditativ. Weißt du?“
Rashnu bewegte sich wie eine 50 jährige Matrone, während er erzählte. Seine Augen schienen bald sein Brillengestell zu sprengen. Er starrte mich an, mit seinen weit aufgerissenen Augen und erzählte und erzählte. Eine Mischung aus Krusty und Homer Simpson mit Nickelbrille. Ja, er sah sehr meditativ aus.
„Ja Rashnu, kann ich mir vorstellen. Wie ist es mit der Armut, dort in Indien?“
„Da sind wir gar nicht. Dort wo ich bin, sind die meisten Leute aus Europa oder den USA.“
„Das ist ja toll, dann werdet ihr bestimmt gut versorgt.“
„Ja, da ist alles schon vorbereitet für uns. Woher kommst du? Carlos Sekundo ist nicht so ein gängiger Name.“
„Naja, Rashnu oder Rashell ist auch ein ziemlich bescheuerter Name für einen Projektleiter. Findest du nicht? Ich heiße Segundo , mit G. Ich wurde in Chile geboren, habe auch europäische Wurzeln und war noch nie in Indien“
Rashnu verlor sein Grinsen, ließ seine Kinnlade, vor Begeisterung oder sonst was fallen. Schloss sie aber gleich, holte tief Luft und begann sein Verhör.
„Oh, das ist ja toll! Ich würde gerne nach Chile fliegen. Willst du nicht dorthin zurück?“
„Nein, ich muss auf Andreas warten.“
„Warst du schon mal wieder da?“
„Ja“
„Und wie war‘s? Bestimmt warm und aufregend. Nicht?“
„Nein, es war kalt und langweilig. Ich wohne direkt auf den Machu Pichu. Leider habe ich meinen Poncho am Flughafen Schiphol liegen lassen. Weißt du Rashnu, es ist für meine Stammesbrüder eine grobe Beleidigung, sie ohne den passenden Poncho zu besuchen. Du kannst Latex, Strapsen oder sogar einen amerikanischen Stetson tragen, aber dabei immer einen Poncho, sonst wirst du nicht begrüßt, sondern gleich bestraft.“
„Ja echt? Wie bestraft? So mit Peitsche und so?“
„Nein, nein so wild sind meine Stammesbrüder nun auch nicht. Je nach Alter und Rang, wird man verdonnert X-Tage, nackig ums Feuer tanzend, Panflöte zu spielen, um die Geister gnädig zu stimmen.“
„Man das ist ja aufregend. Bestimmt findet man nach so einer Zeremonie seine Mitte. Wir haben auch ähnliche Riten. Wir befreien auch die Seele und lassen alles raus.“
„Nach so einer Zeremonie findest nicht mal deinen Pillermann in der Mitte, es ist einfach zu kalt. Weißt du?“
„Wurdest du auch bestraft?“
Ich schwieg einige Sekunden und drehte mir noch eine Zigarette. Rashnu hatte mir die ganze Zeit gebannt zugehört. Ich merkte förmlich seine Anspannung.
„Ja, ich wurde auch bestraft. Da ich kein Kind mehr bin, bekam ich eine andere Strafe aufgebrummt. Der Stamm berät sich, dann melden sich freiwillige, Frauen mit denen man sich in einen Zelt zurückzieht. Ja und dann musst du deinen Job erledigen. Alle müssen befriedigt rauskommen, egal wie alt.“
„Konnte man sich auch Männer aussuchen?“
„Ja sicher Rashnu, aber danach kannst du nur auf dem Bauch liegen. Sitzen geht gar nicht mehr“
Langsam fand ich Gefallen daran, Rashnus Horizont zu erweitern. Der Mann glaubte jeden Scheiß, Hauptsache abgefuckt und spirituell. Meine Ameisen hatten schon das Weite gesucht, und mir ging‘s langsam besser.
Andreas, der Chef kam rein mit seinen Rucksack und seinen Augenringen. Ich ließ die beiden alleine und ging runter zu Jaques ins Cafe. Er hatte immer noch die Abdrücke des Hochregals im Gesicht.
„Geht’s dir besser? Hier nimm erstmal einen frischen Kaffee.“
„Ja, es geht wieder. Wir werden gleich eine Baustelle besichtigen, zum Glück nichts Besonderes“
Ich dachte an Rashnu und seine spirituelle Art Dinge zu sehen. Dieser Typ hatte studiert und bestimmte über Leute die nicht studiert hatten, die einfach Opfer der Zeit oder der Arbeitsvermittler waren. Sein Sektenname, seine Erscheinung passten eher zu einen Transvestiten Türsteher in einer Herrentoilette eines Rocker-Clubs. Solche Leute glauben einem so einen Mist und sind begeistert, je mehr Scheiße man ihnen erzählt. Seltsam.
Dachte an die ganzen Seelen von unglücklichen Indern. Ohne Chance eine Schule zu besuchen, geschweige denn eines Tages Schuhe zu tragen. Rashnu fand es toll, dass die Inder barfuß liefen, schließlich sei es gesund.
Ja sicher wäre es gesund, wenn nicht so viel Mist auf den Straßen gäbe. Eine Glasscherbe im Fuß, ist eine Glasscherbe im Fuß, egal ob in Indien oder im Viertel. Ich versuchte diese spirituelle Art zu denken etwas abzugewinnen, es war sinnlos.
Andreas, der Chef und ich fuhren zur Baustelle, der Tag würde schnell vergehen. Ohne Ameisen und mit Sicherheitsschuhen.
Keine besonderen Vorkommnisse.
(Irgendwann im Winter 2010 geschrieben)
