Sonntag

Sonntag

an einem Sonntag im SteintorAm Sonntag liegt eine tote Ratte auf dem Gehweg. Einfach so. Eine sehr junge Ratte.

Am Montag und Dienstag wird die Ratte immer noch daliegen. Friedlich, vor einem Hauseingang. Im Alternativ- Betrieb gibt es Kaffee, Tischler, Elektriker und die Schlosser trinken Tee.

Brendan Behan habe ich noch im Ohr, seit einer Woche komme ich nicht runter. Im Regional Magazin wird ein Skandal verkündet. Gelöst oder geklärt wird es wohl nie.

Skandale sind wie tote junge Ratten vor Hauseingänge. Sie bleiben liegen, weil sich keiner traut sie anzupacken.

Der Tischler sagt, dass er 65 ist, und das er bald in Rente geht. Und das das „Lagerhaus“ ein Scheißladen sei!

Ich sehe durch seine Augen durch, und muss lachen, weil ich mir vorstelle wie er in der Tischlerei, einen Porno nach dem Anderem schaut, bis der Server in die Knie geht. Ein Fickladen, denke ich.

Sie schreibt mir ich sollte mich anstrengen, wenn ich sie haben will. Sollte ich antworten? Nein, ich bin seit eine Woche mit Brendan Behan im Ohr unterwegs, und jetzt eine tote Ratte, und ein Skandal.

Der Betrieb, der mal so alternativ war ist jetzt veraltet, ringt um Worte, die das Überleben sichern sollten. Ich verlasse das Kaffee und den Tischler, und laufe am Skandal „Lagerhaus“ vorbei, und denke, dass meine Zeit in Bremen der alten Leute und Skandale vorbei ist.
Aber wo sollte ich hin?

Es ist Dienstag und es wäre irrsinnig in das Kundencenter der BSAG zu fahren, nur um eine Statue zu begaffen. Kulturschaffende und Politiker hatten beschlossen eine Bronzestatue in den Warteraum des Kundencenters zu stellen. Viel zu viele Menschen die wohl Schlange stehen würden, um das Deutschlandticket zu bekommen. Flüchtlinge die zwar nicht sprechen können, aber viel zu sagen haben. Da nützte die Bronzestatue die den Künstler darstellen sollte, als er von einer Leiter fiel, nichts.

Diese Leute in den Kundencentern die ein Ticket wollen interessieren sich nicht für irgendwelche Deppen die von Leitern fallen, auch wenn diese Deppen große Bremer sein sollten die Hausfassaden mit Farbe bearbeiten. Auch interessieren sich diese Leute nicht für Glatzköpfe oder Brillenträger die den Öffentlichen Raum zurück erobern möchten.

Ich kannte den Künstler. Er wollte gerne in unserem Viertel die Straßen mehr für Menschen nutzen, weniger Autos und dafür mehr von seiner beschissenen Kunst. Gut, er ist von einer Leiter gestürzt, und verstarb so wie er war, ganz brav. Es hätte anders kommen können!
„Was willst du gegen die Auto Poser unternehmen?“

„Wenn wir viele Menschen sind, die dann die Wege bemalen kann schon was werden.“
„Hey, hör mit dem Quatsch auf. Wie willst du dich gegen eine Kultur die mit locker 80km in der Stunde auf dich zurast stemmen? Mit Wattekugeln schießen?“
„Ich kann sie mit meiner Argumentation überzeugen.“
„Ich möchte sehen wie du im Schneidersitz an der Sielwallkreuzung sitzt, und sie auf dich zurasen. Du bist dann platt. Oder willst du mit ein paar Pinselstrichen sie verängstigen?“
„Nein, aber, wenn wir viele sind wird was Schönes, wunderbares entstehen. Diese Leute, der Mensch braucht Liebe und Verständnis.“
„Ich will echt wissen wie gut du arabisch sprichst, um diesen Leuten Liebe und Verständnis zu erklären. Ich sehe dich dann wie du mit deinen Eiern im Mund an irgendeiner Decke hängst!“

Der Künstler hatte immer viel zu reden, aber die Poser haben keine Zeit zum schnacken. Und schon gar nicht große Lust, bei knapp 100km in die Eisen zu gehen nur, weil einer meint, er müsse die Stadt schöner machen.

Seine Augen, so groß wie Pünktchen hinter seiner Brille durchbohrten mein Angesicht, als wenn der Himmler persönlich mich blasen würde. Das war das letzte Mal, dass ich ihn sprach. Er muss wirklich von mir enttäuscht gewesen sein.

Als ich von seinem plötzlichen Fall erfuhr, und von der Kommission die die Statue hin befehlte, war ich etwas betroffen und verwundert. Ein Skateboard mit seinem Konterfei oder ein Poster wo er an einer Eis Kugel schleckt hätten mehr Humor in dieser Situation gebracht. Die Frauen die der arme nie intim kennen lernen konnte, würden vielleicht ihre Meinung über seinen Sexappeal revidieren. Aber eine Statue im Kundencenter zu installieren, die den Künstler zeigt wie er mit offenen Mund, ohne Haare, flatternden Hemd und Brille gen Erdmittelpunkt rast, fand ich den Künstler nicht würdig, auch wenn er ein ziemlich arrogantes Arschloch war.

Einen Flüchtlingsabend besuchen, oder in einen anderen Stadtteil fahren?
Was hätte Brendan Behan gemacht?

Natürlich! Schreiben, schreiben, trinken, schlafen, trinken, schreiben, schreiben, und was essen.
„Ich glaube, dass ich etwa mit fünf Jahren Würmer bekommen habe.“
Ach Gott wie furchtbar, dachte ich. Es war Mist.

Eigentlich wollte ich was Interessantes schreiben, aber es war Zeit Geld rein zu bekommen.
In dieser schöpferischen Situation ist es zu gefährlich sich auf Spenden von bekannten Frauen oder Frauen die zu meinen Geschichten oder Bilder onanieren zu verlassen. So beschloss ich über etwas Ungeheuerliches zu schreiben.

Leute sind von Sex und Crime überlastet. Nichts Neues auf der Bettkannte.
Was wünschen sich die Leute die Geld ausgeben können, und was wünschen sich die kein Geld ausgeben können? Die Leute die Geld ausgeben können wollen oft über Leute lesen die kein Geld haben. Die ohne Geld finden es gut, wenn man über sie schreibt und reich wird. Doch die Zeiten verträgt heute wohl keiner mehr.

Deutschland sucht den leidenden, stolzen Osteuropäer. Die Zeiten der indischen Schreiber sind vorbei, und die der afrikanischen Schreiber sind nie angebrochen.
Die Revolutionsromantik der Latinos ist längst auf dem Markt der Träume verramscht worden. Diese Bücher stehen meistens in Häuser die mal besetzt waren und jetzt Eigentümern gehören. Keiner liest sie, sie stehen einfach im Regal wie ein Gemälde an der Kellertreppe.
Verschrammt genau wie die Ramones. Jeder kann ein Shirt mit Aussage tragen, ohne selber was aussagen zu müssen…

(By Dos Pesos Juni 2023)