Irgendwann war einfach zu viel Zeit vergangen, mein Leben war wie ein Schwarzweißfilm in Slow Motion. Eine Bekannte hatte mir einen Gelegenheitsjob beim Film besorgt, und nun wartete ich auf Aufträge als Statist. Aber man kann nicht das ganze Leben als Statist seines eigenen Lebens verbringen.
Ich musste mich wieder bei Frau Brenickel melden. Ich wollte am besten nichts sagen oder Fragen stellen, aber es gelang mir nicht.
„Guten Tag Herr Carlos Segundo, nehmen sie bitte Platz. Wie läuft es mit ihren Bewerbungen?“
„Gut.“
„Wie oft haben sie sich in diesem Monat beworben?“
„Bei Frauen? Kein einziges Mal. Den Firmen habe ich ca. zehn Bewerbungen geschickt, aber bis jetzt noch keine Antwort bekommen.“
„Mehr nicht, das ist zu wenig!“
„Ich habe kein Geld übrig um ganze Gebetsbücher zu verschicken.“
„Dann fahren sie doch einfach persönlich zu den Firmen hin. Hier haben sie eine Liste freier Stellen. Ich möchte sie darauf aufmerksam machen, dass sie sich unbedingt bewerben sollten, ansonsten muss ich ihnen die Leistungen kürzen.“
„Ich habe auch kein Geld für Busfahrten übrig. Wie soll ich das alles machen?“
„Tja, dass müssen sie sehen. Hier haben sie den nächsten Termin. Bis bald Herr Segundo.“
„Ja, sehr gerne. Haben sie heute noch was vor?“
Keine Antwort.
Ich verließ das Gebäude mit einem guten Gefühl; sich darüber aufregen… Fuck! Sie wartet doch nur darauf, dass ich einen Fehler mache; so wie ich es Monate zuvor in der Bar gemacht hatte. Ich trottete zurück ins Viertel, immer schön an der Weser entlang. Meine Schuhsohlen waren gebrochen, aber das Regenwasser in meinen Schuhen war nicht kalt. Irgendwie fühlte ich mich frei und gleichgültig. Es gab nichts zu verlieren. Ich musste mit wenig Geld haushalten und sparsam sein; doch was kann man sparen, wenn es nichts zu sparen gibt?
Zwei Wochen später saß ich wieder bei dieser Frau oder sonst was.
„Herr Segundo, sie haben einige Stellen nicht aufgesucht. Sie haben sich nicht in Oldenburg gemeldet, zum Beispiel. Das kann Konsequenzen für sie haben.“
„Entschuldigen sie, ich kann mir eine Fahrt nach Oldenburg nicht leisten. Mein Handy kann ich nicht aufladen, mein Internetanschluss kann ich auch nicht zahlen, ich habe nicht einmal ein Konto! Aber ich habe gehört, dass das Amt Bewerbungskosten und Fahrten zu Bewerbungsgesprächen übernimmt, ist das richtig?“
„Ja, das ist wahr.“
„Und warum haben sie mir das nicht erzählt?“
„Da müssen sie sich selber drum kümmern; und das mit dem Konto ist auch schlecht. Sie werden eine Karte bekommen, damit können sie jeden Monat ihre Leistungen unten am Automaten abholen. Sie bekommen jetzt auch eine schriftliche Verwarnung, weil sie sich nicht an die Vereinbarungen gehalten haben, die sie selber unterschrieben haben.“
„Sie verdammte Drecksschlampe!!! Wofür sind sie da? Sie sollten mir helfen und mich beraten!!!“
Ich fegte ihren Schreibtisch leer, zertrümmerte den verdammten Beichtstuhl auf dem ich immer platznehmen sollte. Sprang auf den Schreibtisch…
„Warum haben sie es mir nicht gesagt, dass ich Anspruch auf Bewerbungskosten habe, verfluchtes Stück Stinkfotze!!!“
Jetzt war der Bildschirm und der Computer dran; zack raus aus dem Fenster. Scheiß Sicherheitsfenster. Der ganze Schrott prallte ab und flog mir wieder entgegen. Der scheiß PC-Turm knallte fett auf meinen rechten Fuß.
Zum Glück war ich kein Moslem, denn die Jungs dürfen die Moschee nur mit dem rechten Fuß betreten, was dann passiert, weiß ich nicht. Wenn sie wieder rausgehen, dann nur mit dem linken Fuß, was davor passiert, weiß ich nicht. Christen sind vielleicht anders, die pure Inquisition.
Sie schaffte es den Alarmknopf zu drücken bevor ich sie würgte, es war anstrengend bei so einem Stiernacken. Ich musste ihr die Bluse aufreißen, um an den Hals zu kommen. Dieses Mal waren ihre Augen keine Punkte mehr, es waren große Murmeln, die aus ihrem verdammten Schädel quollen. Verdammt schnell stürmte die Security das Büro 2042, oder was davon übrig geblieben war. Es gab nicht viel zu reden, ich bekam einen heftigen Schlag in die Nieren und einen knackigen Tritt a la Bruce Lee in die Fresse.
„Du scheiß Vergewaltiger…“
Etwas später bin ich auf der Wache gegenüber vom Arbeitsamt aufgewacht. Das Einzige woran ich mich erinnern konnte war, das ich jetzt auch noch ein Vergewaltiger war. Ich war wohl in einer Ausnüchterungszelle, hatte keine Schuhe an, einen dicken Fuß und keine Uhr oder Schreibzeug. War wohl den halben Tag in dieser Zelle; saß auf einem Betonbett, ohne Bettdecke und dachte nur daran wie ich diese verdammte Frau töten könnte.
Als ich entlassen wurde, war es wohl zehn Uhr abends. Zuvor musste ich einige Formulare unterschreiben. Mir wurde auch gesagt, dass ich beim Arbeitsamt Hausverbot hatte und, dass eine Anzeige wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung bekommen würde.
Hinkend haben sie mich gehen lassen; unterwegs ins Viertel dachte ich an Amerika. Wieder war einer ausgetickt und ist Amok gelaufen. Ein junger Typ hatte einige Mitschüler und Lehrer mit einer 45er zersiebt. Irgendwann würde mal die Zeit kommen diese Leute beim Arbeitsamt auch zu zersieben.
Termine beim Arbeitsamt sind heilig, wie die heilige Inquisition. Richtige Antworten auf heilige Fragen. Demut zeigen und keine Fragen stellen.
Endlich im Viertel in meinem kleinen Zimmer angekommen, konnte ich zunächst an nichts denken. Manchmal ist es besser so. Dank meines Nachbarn, konnte ich W-Lan nutzen und Nachrichten abrufen. Einige Nachrichten auf Facebook, einige bei der Kontaktbörse Findya und eine normale Nachricht an meine Zimmertür geklebt, ein Zettel. Auf dem Zettel stand: Carlos wir konnten dich nicht erreichen. Dreharbeiten nächste Woche am Güterbahnhof. Bis bald! Ach, ich soll dich von Laura grüßen. Du hast dich lange nicht mehr bei ihr gemeldet. Gut, etwas Sinnvolles tun, mich bei Laura melden.
Auf Facebook hatte ich eine Frau aus Südeuropa kennengelernt, heiß wie ein Grilleisen und umfangreich wie ein Kugelgrill; aber total hübsch und nett. Zumindest konnte sie kein Deutsch. Wir schrieben uns auf Englisch oder Spanisch. Sie war sehr an meiner Schreiberei interessiert. Ich beschloss ihr sofort zu schreiben, denn außer den Bullen hatten nur noch Wenige Interesse an meiner Person.
„Hey Carlos honey, what are you doing now?“
“I´m touching my lips.”
“Are you writing poems? When someone is touching the lips, there is always a thought behind or more than one.”
“Not now baby. I´ve just burned my lips with my cigarette, while writing you… I´m just a fucking guy.”
“Asshole! Why do you do this?”
“Well, I didn´t do it for fun. It happens accidently.”
To be continued…
August 2014
