Wie Häftlinge in einem Straflager saßen wir an unseren Schreibtischen, wie angekettet. Es hätte auch eine Hühnerfarm sein können, egal.
Es gab immer wieder Kaffee, böse Blicke von Kolleginnen oder falsches Lob und Grinsen vom Chef.
Die Dramen und Tragödien die wir bei der Arbeit hörten munterten uns auf und so waren wir für jede Neuigkeit dankbar.
Mehrmals am Tag kam ein Radkurier rein gelaufen. Ob Mann oder Frau war nie wirklich sicher zu sagen; alle so drahtig und durchtrainiert, enganliegende Hosen und Helm mit Visier. Eine Chance um das Geschlecht zu bestimmen war es dem Kurier in den Schritt zu schauen. Kurierfrauen haben kleine bis keine Brüste und ihre Zähne stehen meistens vor.
Der eine Radkurier war sehr kommunikativ, er trug uns den Wetterbericht wie ein Gedicht vor. Von ihm erfuhren wir auch was mit unserer Ex-Kollegin passiert war. Sie hatte die Firma verlassen und verdiente etwas weniger, aber flexible Arbeitszeiten sind schon besser als im Großraumbüro die Zeit abzubrüten.
„Cathrin hat früher Schluss gemacht und als sie zu Hause ankam, wurde sie von ihren Sohn in der Küche mit einer Axt erschlagen. Er war dabei eine Ratte zu jagen, sagte er zumindest und ich glaube ihm das auch. Es wurde alles gefilmt und quasi live ins Netz übertragen.“
„Wo ist eigentlich Louis geblieben“, fragte ich eines Morgens. Elke und Uta ignorierten meine Frage; ich hatte Louis seit über einen Monat nicht mehr gesehen. Er hatte mehrere Jobs und dazu war er ständig auf Konzerte, Lesungen und Happy hours in Bars. Keine Ahnung, ob er überhaupt schlief.
In der Raucherpause kamen alle Neuigkeiten geballt und unverfälscht. Wenn es keine Neuigkeiten gab, dann wurde die Pause zum Verhör.
„Wolltest du nicht nach Kroatien fliegen?“ fragte mich Elke.
„Bin froh, dass ich hier nicht raus fliege. Nee, dieses Jahr wird nichts mit Urlaub.“
„Aber dein Mann ist doch letztes Jahr verstorben. Kriegst keine Witwenrente?“
Ich konterte.
„Was ist eigentlich aus deiner Internet Bekanntschaft geworden? Du warst doch so glücklich, ja fast unausstehlich.“
„Nichts. Der war mir zu alt. Ich versuche an was Jüngeres zu kommen.“
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass dir was einfach so vor die Füße fällt. Dafür muss man raus gehen, tanzen, unterhalten, feiern und vielleicht es auch mal auf Sex ankommen lassen.“
„Nee, dafür bin ich schon zu alt. Für Sex bin ich nicht mehr zu haben. Habe mir den neuesten Dildo bestellt, der war zwar teuer, ist aber versichert und hat Garantie.“
„Ach, Elke du bist doch erst 44. Ich werde dieses Jahr 50, da ist noch alles drin…“
„Die ganzen Typen sind einfach Scheiße. Ich will lieber meine Ruhe haben.“
„Ich werde dieses Jahr zum „Summer Jam Festival“ bei Köln, fahren.“
„Ich denke du hast kein Geld?“
Raucherpause zu Ende. 1:0 für Elke, die vertrocknete Pflaume.
In der Postabteilung waren viele auf der Strecke geblieben. Wenn es keine Todesfälle aus Krankheit gab, dann brachen einige zusammen, meistens Gelenkschäden oder Kreislaufkollaps. Einige hatten sich aus nichtigen Gründen das Leben genommen. Das wurde der Geschäftsleitung zu blöd; es wurden keine neuen Mitarbeiter eingestellt, sondern bei Leihfirmen bestellt.
Die Symptome blieben, aber nun waren diese Briefsöldner austauschbar. Sie kamen mal auf ein Bein zur Arbeit, andere wurden vergesslich, andere waren immer vollgepumpt mit Medikamenten oder sonst was, oder eben angetrunken. Wir sahen sie selten, denn sie waren im Keller untergebracht. Rannten wie Ratten umher.
Einer stand oft draußen, mit Sonnenbrille und der zitterte nicht so wie die anderen.
Ich fragte mich, ob er der nächste sein würde der gekündigt wird.
Die Security schikanierte uns wegen unserer Raucherei, ich schikanierte sie. Ich ließ oft meine benutzten Damenbinden irgendwo in der Nähe der Securities liegen. Sie bekamen mächtig Stress mit dem Chef, wenn sie nicht für Sauberkeit sorgten.
Einer dieser scheinbar kastrierten Testosteron Brocken muss mir das Ladegerät, für meinen neuen Freund geklaut haben. Ich konnte schlecht was sagen, denn wir durften nicht mal unsere Handys laden, geschweige andere nützliche Geräte. Bei Abmahnung verboten private Ladegeräte ans Stromnetz anzuschließen, hieß es.
Mein 29,90 Euro Hohldildo Freund, kaum benutzt, hatte ich mir extra für lange Büroetage besorgt, und nun lag er nutzlos in meiner Tasche.
„Sag mal, wir haben keinen Sonnenschein. Warum trägst du eine Sonnenbrille?“
„Weil ich eine habe.“
„Was machst du hier?“
„Ich bin unten im Keller und sortiere Papiere, eigentlich bin ich Elektriker.“
„Könntest du mir einen Gefallen tun? Ich brauche ein Ladegerät und ich weiß nicht was für eins und auch nicht wo man so was bekommt.“
Er besorgte es mir und ich bezahlte, alles wurde gut.
Eines Abends fragte ich: „Wo ist der junge Mann mit der Sonnenbrille?“
Ich weiß nicht warum, aber ich war immer die letzte die etwas erfuhr. Wieder bekam ich keine Antwort; alle taten furchtbar beschäftigt, dass ich mir wie ein Geist vorkam so wie ich mit den Akten da stand.
Sonnenbrille war der meist gehasste bei den Securities, weil er seine Raucherpausen einhielt und sich mit uns Frauen unterhielt. Er soll nach Feierabend einen seiner Kollegen verprügelt haben. Einen Zuträger, der immer alles nach oben berichtete. Klaus hieß der Typ, der führte Buch darüber, wer, wie oft aufs Klo musste und für wie lange. Er hat wohl auch über Sonnenbrille Buch geführt. Es hieß, er würde die Frauen nicht in Ruhe lassen.
Nach und nach bekam ich es raus, Elke und Klaus und wohl andere hatten das Gerücht in der Welt gesetzt. Im Büro wurde so getan als hätte es jeder schon immer gewusst. Einer der eine Sonnenbrille trägt, nett mit Frauen redet und mir auch noch ein neues Leben für meinen Hohldildo besorgt, der muss raus aus den Hühnerstall.
In der Poststelle, im Keller war die Stimmung super, ja fast glücklich rannten die Ratten umher. Das sollte nur ein paar Wochen andauern, dann ging auch ihnen das Gesprächsstoff aus.
Elke kam irgendwann auch nicht mehr, aber ich fragte auch nicht nach.
Ich verließ bald danach den Laden und suchte mir was anderes. Irgendwann traf ich Sonnenbrille in einem Cafe im Ostertor, in der Nähe meines Dildo Dealers und neuen Arbeitgebers. Ich lud ihn zum Kaffee ein, er nahm seine Sonnenbrille ab und wir verabredeten uns für ein Open Air Festival mit Louis, seinen Gitarristen…
März 2015
